NCMEC-Meldungen - strafrechtliche Verteidigung von Kinderpornografie und Jugendpornografie
1. Bedeutung des NCMEC und warum diese Meldungen in Deutschland eine Rolle spielen
Das „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC) ist eine private Organisation in den USA, die Hinweise auf mutmaßlich kinderpornografisches Material sammelt und diese an Strafverfolgungsbehörden weiterleitet. Internetplattformen und Cloud-Dienste wie Google, Microsoft, Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp) sowie weitere internationale Anbieter sind in den USA gesetzlich verpflichtet, verdächtige Inhalte zu melden. Diese Anbieter durchforsten mit automatischen Filtern und Algorithmen große Datenmengen und erstellen bei einem Treffer eine Verdachtsmeldung. Diese Meldung wird als CyberTipline-Report (CT-Report) an das NCMEC übermittelt.
Von dort wird der Report an ausländische Behörden weitergeleitet, wenn die IP-Adresse des Verdächtigen einem bestimmten Land zugeordnet werden kann. In Deutschland ist das Bundeskriminalamt (BKA) die zentrale Behörde, die NCMEC-Meldungen erhält und an die zuständigen Landeskriminalämter oder Polizeidienststellen weitergibt. Diese Verdachtsmeldungen führen in vielen Fällen direkt zu strafrechtlichen Ermittlungen, auch wenn noch keine eindeutige Identifizierung des tatsächlichen Nutzers eines Geräts oder Accounts vorliegt.
Ein zentrales Problem dieser Praxis besteht darin, dass die Meldungen fast ausschließlich auf technischen Indikatoren wie Hash-Werten oder Upload-Protokollen basieren. Das bedeutet, dass in vielen Fällen niemand beim NCMEC den konkreten Inhalt geprüft hat, sondern die Verdachtsmeldung allein durch eine automatische Erkennungssoftware ausgelöst wurde. Das führt dazu, dass auch harmlose Inhalte – beispielsweise private Familienfotos – als kinderpornografisch eingestuft werden können.
2. Können NCMEC-Meldungen ohne weitere Beweise zu einer Hausdurchsuchung führen?
In Deutschland reicht ein Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO für die Anordnung strafprozessualer Maßnahmen aus. Nach der derzeitigen Rechtsprechung deutscher Gerichte genügt oft bereits eine NCMEC-Meldung als Begründung für eine Hausdurchsuchung oder die Beschlagnahme von Computern und Mobilgeräten.
In vielen Fällen wird die verdächtige Datei nur einer IP-Adresse zugeordnet, ohne dass klar ist, welche Person hinter der Nutzung des Internetanschlusses steht. Dies ist insbesondere in Mehrpersonenhaushalten problematisch, da eine IP-Adresse nicht automatisch einer einzelnen Person zugeordnet werden kann.
Einige Gerichte, darunter das Landgericht Detmold (LG Detmold, Beschl. v. 11.4.2022 – 23 Qs 27/22), haben entschieden, dass eine solche Meldung ohne weitere Beweise keinen ausreichenden Anfangsverdacht darstellt. Andere Gerichte, darunter das Landgericht Bamberg (LG Bamberg, Beschl. v. 18.12.2023 – 15 Qs 86/23) und das Landgericht Paderborn (LG Paderborn, Beschl. v. 20.9.2024 – 1 Qs 94/24), halten dagegen bereits eine IP-Adresse für ausreichend, um eine Hausdurchsuchung anzuordnen. Das führt dazu, dass in der Praxis viele Betroffene von plötzlichen Durchsuchungen überrascht werden, obwohl der tatsächliche Tatverdacht gegen sie nicht eindeutig ist.
3. Ablauf eines Strafverfahrens nach einer NCMEC-Meldung
In den meisten Fällen beginnt das Verfahren mit einer Hausdurchsuchung. Dabei beschlagnahmen die Ermittlungsbehörden sämtliche IT-Geräte wie Computer, Laptops, Handys, USB-Sticks oder externe Festplatten. Die Geräte werden anschließend forensisch untersucht.
Während der Auswertung der sichergestellten Daten prüfen die Ermittler zunächst, ob tatsächlich kinderpornografisches Material gefunden wird. Die Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden sind jedoch begrenzt, da viele Verdachtsmeldungen auf bloßen Hash-Wert-Abgleichen basieren, die keine manuelle Sichtung der Inhalte voraussetzen.
Sollten keine belastenden Dateien gefunden werden, kann das Verfahren eingestellt werden. Falls jedoch kinderpornografische oder jugendpornografische Inhalte entdeckt werden, wird das Verfahren fortgeführt. Dabei stellt sich die Frage, ob der Beschuldigte tatsächlich Kenntnis von diesen Dateien hatte oder ob sie ohne sein Zutun auf das Gerät gelangt sind.
4. Wann ist der Besitz oder die Verbreitung strafbar?
Das deutsche Strafrecht unterscheidet zwischen dem bloßen Besitz und der Verbreitung von kinder- oder jugendpornografischen Inhalten. Der Besitz ist gemäß § 184b Abs. 3 StGB strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet. Wer solche Inhalte verbreitet, also sie an Dritte weiterleitet oder öffentlich zugänglich macht, begeht eine schwerwiegendere Straftat, die gemäß § 184b Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet wird.
Ein häufiger Streitpunkt in Strafverfahren ist die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als Verbreitung gewertet werden kann. Das Hochladen einer Datei in eine private Cloud oder auf einen nicht öffentlich zugänglichen Server wird von Gerichten oft nicht als Verbreitung angesehen, da die Datei nicht für Dritte einsehbar ist.
Ebenfalls problematisch sind Fälle, in denen verdächtige Inhalte automatisch heruntergeladen oder zwischengespeichert werden, ohne dass der Nutzer davon Kenntnis hatte. Dies kann zum Beispiel in Messengerdiensten wie WhatsApp oder Telegram der Fall sein, wenn Bilder oder Videos automatisch auf dem Gerät des Nutzers gespeichert werden.
5. Welche Verteidigungsstrategien sind möglich?
Ein zentrales Verteidigungsargument ist der fehlende Besitzwille. Die Rechtsprechung verlangt, dass ein Täter bewusst und gewollt kinderpornografisches Material besitzt. Wer eine Datei ungewollt auf sein Gerät geladen hat oder diese sofort nach Entdeckung gelöscht hat, kann sich unter Umständen entlasten.
Ein weiteres Argument ist die fehlerhafte Zuordnung einer IP-Adresse. In Mehrpersonenhaushalten oder bei gemeinsam genutzten Computern ist es oft nicht möglich, eindeutig zu bestimmen, wer die fragliche Datei heruntergeladen oder hochgeladen hat.
Auch technische Argumente können eine Rolle spielen. In einigen Fällen wurden Nutzer durch Pop-up-Werbung oder unsichere Webseiten zu verdächtigen Inhalten weitergeleitet, ohne dass sie dies beabsichtigt hatten. Dies kann dazu führen, dass eine NCMEC-Meldung ausgelöst wird, obwohl keine strafbare Handlung vorlag.
6. Ist ein Anwalt in einem solchen Verfahren notwendig?
In fast allen Fällen ist eine anwaltliche Verteidigung dringend erforderlich. Bereits der Verdacht des Besitzes oder der Verbreitung von Kinderpornografie kann schwerwiegende persönliche und berufliche Konsequenzen haben. In vielen Fällen wird ein Pflichtverteidiger beigeordnet, da die Sachlage als besonders schwierig eingestuft wird.
Da der Beschuldigte in solchen Verfahren keine vollständige Akteneinsicht erhält und die belastenden Bilder nicht selbst einsehen darf, ist die Unterstützung durch einen spezialisierten Strafverteidiger besonders wichtig.
7. Was sollte man tun, wenn man eine Vorladung oder eine Hausdurchsuchung erhält?
Wer von einer Hausdurchsuchung betroffen ist oder eine Vorladung zur Polizei erhält, sollte keine unüberlegten Aussagen machen. Viele Betroffene versuchen, sich spontan zu rechtfertigen, machen dabei aber ungewollt belastende Aussagen.
Es ist ratsam, zunächst keine Angaben zur Sache zu machen und sofort einen Anwalt zu kontaktieren. Der Anwalt kann Akteneinsicht beantragen und prüfen, ob die Verdachtslage überhaupt eine strafrechtliche Verfolgung rechtfertigt.
8. Fazit
NCMEC-Meldungen führen in Deutschland häufig zu Strafverfahren, auch wenn die Verdachtsgrundlage oft unsicher ist. Da die Meldungen oft auf automatisierten Prozessen basieren, können sie fehlerhafte Verdachtsfälle erzeugen. Eine sorgfältige Verteidigungsstrategie kann entscheidend sein, um eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen oder eine unrechtmäßige Verurteilung zu verhindern. Betroffene sollten schnell handeln, einen spezialisierten Strafverteidiger hinzuziehen und keine voreiligen Aussagen gegenüber den Ermittlungsbehörden machen.
Ihr Rechtsanwalt und Strafverteidiger
Christian Keßler
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